Naturpark-Blick bei Osterode am Harz
Naturpark-Blick bei Osterode am Harz

Stadt Ilsenburg für die Marienhöfer Straße

Marienhöfer Straße der Stadt Ilsenburg

Thema: Straßenraum - Lebensraum

Der Regionalverband Harz e. V. fördert mit seinem 2003 zum fünften Mal in Folge durchgeführten Naturparkwettbewerb den Naturparkgedanken. In einer großräumigen Erholungslandschaft eines Naturparks reicht es nicht aus, allein die Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete in einem guten Erhaltungszustand zu präsentieren. Es ist ebenso wichtig, dass sich die Naturparkgemeinden auch innerörtlich zum Verweilen einladend zeigen. So wurden in den Vorjahren Naturparkpreise zu den Themen Ortseingänge, Kirchen und ihr Umfeld, innerörtliche Gewässer und Nachnutzung ehemalig gewerblich genutzter Gebäude für den Fremdenverkehr an die Gemeinden Sülzhayn (Landkreis Nordhausen), Stecklenberg (Landkreis Quedlinburg), Herzberg (Landkreis Osterode am Harz) und Lautenthal (Landkreis Goslar) verliehen.
Der Naturparkpreis 2003 stand unter dem Thema "Straßenraum - Lebensraum". Die Preisverleihung erfolgte anlässlich des traditionellen Walpurgisempfangs des Regionalverbandes Harz e. V. am. 24. April 2003 im Schlosstheater Ballenstedt, zu dem auch Petra Wernicke, Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt, begrüßt werden konnte.

Straßen in Dörfern und Städten können mehr sein als Verkehrsverbindungen: Dort, wo Häuser mit ihren Fassaden, Vorgärten und deren Einfriedung den Straßen optischen Halt geben, entstehen Außenräume. Bodenbelag, Begrünung und "Möblierung" dieser Räume mit Leuchten, Sitzgelegenheiten, Werbeanlagen und Schildern fallen mehr oder weniger ansprechend aus. Wenn nicht Autos diesen Raum beherrschen und alle Aufmerksamkeit binden, sondern Fußgängern, Radfahrern, Anwohnern, Kindern und Senioren Platz "eingeräumt" wird, ist auch Verweilen, Kommunikation und Spiel möglich. Straßenraum wird erweiterter Wohnraum, Raum zum Aufenthalt, zum Leben: Lebensraum.

Straßenum- und - ausbau im Zuge wachsender Automobilität führten häufig zu Veränderungen an Straßenräumen, die unter normierenden Vorgaben und mangelndem Gestaltungsanspruch bisweilen zum Verlust überlieferter Ortsbilder führten. Vielfach konnten Straßenräume aber auch erhalten und sensibel weiterentwickelt, manchmal auch nach Jahrzehnten des Desinteresses als Lebensraum zurückgewonnen werden. Straßenräume, in denen sich Menschen wohl fühlen und nicht Autos den Ton angeben, die sich angemessen in das Ortsbild einfügen und in denen sich in der Liebe zum Detail Sinn für Qualität zeigt, hatte der diesjährige Naturparkwettbewerb des Regionalverbandes Harz e. V. zum Thema. Der Regionalverband will mit diesem seit 1999 jährlich durchgeführten Wettbewerb Städte und Gemeinden für ihr Mitwirken am Aufbau des Naturpark Harz gewinnen und vorbildliche Leistungen für die Gestaltung, Pflege und Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft Harz würdigen.

Die eingereichten Beiträge decken ein breites Spektrum ab: von der erhaltenden Erneuerung (Ballenstedt) über Neu- und Umbau (Neustadt) bis zur Rückgewinnung von Straßenräumen (Osterode am Harz), vom Platz (Wernigerode) über die Allee (Ballenstedt) bis zu Straßenzügen und ihrer Vernetzung (Ilsenburg). Auch der Umfang der Nutzungsangebote, der Begrünung, der Gestaltung und der Einbindung von Kunst fällt sehr unterschiedlich aus. Der Preisträger und die für die Preisverleihung in die engere Wahl genommenen Beiträge werden im Folgenden vorgestellt.

Der Preisträger: Stadt Ilsenburg, Marienhöfer Straße

Die Stadt Ilsenburg (ca. 7.200 Einwohner) beteiligte sich am Wettbewerb mit dem Ausbau der Marienhöfer Straße, einer knapp 350 m langen Straße, die im Kernbereich Ilsenburgs liegt und von der Faktoreistraße (ehemalige Bundesstraße 6) zum Rathaus und zum Forellenteich, der zentralen innerstädtischen Grünfläche, führt. Nach der Wende war Ilsenburg aus seiner Randlage herausgerückt. Eine bislang nicht vorhersehbare Verkehrsmenge belastete den engen Ortskern und veränderte schlagartig die Lebensgewohnheiten in der Stadt. Konzepte zur Neuordnung des Verkehrs wurden entwickelt. Rat und Bürger wurden sich schnell einig, die Marienhöfer Straße nach Verlagerung des Durchgangsverkehrs in den auszubauenden Straßenzug Faktoreistraße - Wernigeröder Straße so zu einem verkehrsberuhigten Bereich umzugestalten, dass unter Erhaltung der vorhandenen historischen Bebauung ein Straßenraum entsteht, der mehr Aufenthaltsqualität und Kommunikationsmöglichkeiten als zuvor bietet und den Anforderungen des Fremdenverkehrs gerecht wird.

Die bituminöse Fahrbahnfläche und die Hochbordanlagen wurden entfernt und durch Pflasterflächen in angepasstem rotbraunem Farbton, die bis an die Gebäude geführt wurden, ersetzt. Pflasterbänder und Plattenreihen vollziehen den Verlauf der früheren Fahrbahn nach und gliedern die Fläche. Mit gusseisernen Straßenleuchten und Straßenschildern aus der ortsansässigen Gießerei, Sitzgelegenheiten und Pflanzinseln sowie hochstämmigen, einheimischen Laubbäumen wurde das Straßenbild komplettiert.

Hatte der Marktplatz am südlichen Abschluss der Marienhöfer Straße bisher nur als Verkehrsfläche und Wendebereich für Busse gedient, so wurden nun die Fahrbahnen auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt und die gewonnene Fläche für eine Platzgestaltung mit Aufenthaltsqualität genutzt. Ein Brunnen aus harztypischen Granitfelsen schmückt seither den Platz und erfreut sich großer Beliebtheit. Die Umgestaltung der Marienhöfer Straße bewegte Anlieger dazu, ihre Gebäude zu erneuern und so erheblich zur Verschönerung des Ortsbildes beizutragen. Neue Geschäfte und Straßencafés kamen hinzu. Die guten Erfahrungen veranlassten die Stadt, ihre Aktivitäten im Umbau weiterer Straßen und Wege fortzusetzen.

Weitere Wettbewerbsteilnehmer

Stadt Ballenstedt, Allee

Die spätmittelalterliche Altstadt Ballenstedts und ihre im 16. Jahrhundert angelegte Neustadt werden mit dem aus einem Kloster hervorgegangenen Residenzschloss der Fürsten von Anhalt-Bernburg durch eine geradlinige Achse, deren Ausbau 1712 begann, verbunden. Wie in den Bauten des Schlosskomplexes spiegelt sich in der Allee und in deren zahlreichen Bauten des Barocks das fürstliche Repräsentationsbedürfnis. Im Frühjahr 1809 erfolgte eine planmäßige Bepflanzung der einen Kilometer langen Allee, die mit den anliegenden Cafés und Geschäften zum Hauptbegegnungsraum der Stadt wurde. Von 1994 bis 1999 mussten Ver- und Entsorgungsleitungen, Straßendecken, Fußwege und Beleuchtung erneuert werden. Die Bäume wurden im Zuge der Baumaßnahme durch 290 Kastanien ersetzt. Die Baukosten beliefen sich auf insgesamt 6,6 Millionen DM, von denen die Stadt Ballenstedt 1,4 Millionen DM aufbrachte. Mit großem Engagement wurde die für die Stadtgeschichte bedeutende denkmalgeschützte Allee feinfühlig und mit angemessenen Materialien erneuert. Auch die Gestaltung des Anhaltinerplatz, dem stadtseitigen Beginn der Allee, u.a. mit einer an die Stadtgeschichte erinnernden ausdrucksstarken Bärengruppe des Quedlinburger Künstlers Jochen Müller, beeindruckt. Mit der noch ausstehenden Umgestaltung des Schlossplatzes wird die Allee und mit ihr das für den Harz einmalige städtebauliche und gartenkünstlerische Ensemble des heute ca. 7.300 Einwohner zählenden Ballenstedts vervollständigt.

Stadt Osterode am Harz, Spritzenhausplatz

Die Stadt Osterode am Harz (rund 28.000 Einwohner) gestaltete in den vergangenen Jahren den südwestlichen Zugang zur Altstadt im Bereich des Neustädter Tores und damit Abschnitte des Innenstadtringes um. Hierzu gehört die innerhalb des Mauerrings gelegene dreieckige Straßenaufweitung und -aufgabelung vor dem Spritzenhaus, der Spritzenhausplatz. Vor der Umgestaltung bestand der vollständig versiegelte Platz zu drei Vierteln aus Straßenfläche, die nur durch schmale Gehwege getrennt vor den Häuserfronten vorbeiführte. Sicherheitsprobleme traten auf, da die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule Neustädter Tor beim Verlassen der Schule fast auf die Fahrbahn treten mussten und die Breite der Straße zu überhöhten Geschwindigkeiten verleitete. Mit der Umgestaltung wurde die Fahrbahn auf die erforderliche Breite (knapp 5 m zwischen den Gossen) zurückgenommen und die Straßengabelung vor das Spritzenhaus verschoben. Entlang der bituminös befestigten Fahrbahn entstanden durch Baumscheiben unterbrochene Stellplätze in Natursteinpflaster. Die frei werdende Fläche vor der renovierten Fassade des Schulgebäudes, dem ehemaligen Stadtpalais der Fabrikantenfamilie Schachtrupp, wurde als Aufenthaltsraum mit Natursteinpflaster und mit Einzelbäumen in gemauerten Baumscheiben umgestaltet. Die Umgestaltung des Spritzenhausplatzes in Osterode ist ein funktional wie ästhetisch gelungenes Beispiel für das Zurückdrängen des Individualverkehrs zugunsten der Aufenthaltsqualitäten im Stadtraum.

Stadt Wernigerode, Oberpfarrkirchhof - Klint

Der Oberpfarrkirchhof mit dem Klint gehört zu den ältesten Bereichen der Altstadt Wernigerodes. Die Verkehrsführung, der Zustand des Oberflächenbelages, der Entwässerung und der Versorgungsleitungen entsprachen nicht mehr den Funktions- und Gestaltungsanforderungen dieses touristisch stark frequentierten Innenstadtbereiches mit seinen vielfältigen Nutzungsangeboten (Landesmusikgymnasium, Verwaltung, Ärztehaus, Gastronomie, Harzmuseum, Bibliothek, Oberpfarrkirche). Auf der Grundlage des Rahmenplans der Stadt Wernigerode (ca. 37.000 Einwohner) und unter Beteiligung der Bürger wurde eine Plan erarbeitet, der die Verbesserung der Standortbedingungen für die vorhandenen Einrichtungen und der Aufenthaltsbedingungen für Bewohner und Besucher, eine fußgängerfreundliche Gestaltung unter Beschränkung der Fahrverkehrsflächen auf ein Mindestmaß, ein Angebot von Kurzzeit- und Anliegerparkplätzen und die Wiederherstellung und Belebung des Stadtbildes unter behutsamem Umgang mit dem Bestand und maßstäblicher Ergänzung durch Neues vorsah. Das Ergebnis ist vorbildlich: Gossen, Bord und Natursteinpflaster wurden nach historisch überliefertem Straßenbild verlegt, vorhandene Steine neu gesetzt und durch neue ergänzt, Plattenstreifen der Gehzone vervollständigt, Verweilangebote geschaffen. Stadtbildprägende Bäume wurden behandelt, unpassende Koniferen, Hecken und Sträucher entfernt. In Anspielung auf das Landesgymnasium für Musik ergänzt u.a. ein "Klangnotenständer" optisch und akustisch das Kirchenumfeld. Die Sanierung des Oberpfarrkirchhofs und des Klint zeigt, zu welch beeindruckenden Ergebnissen ein sensibler Umgang mit dem Vorgefundenen und eine konsequente Umsetzung der Planung auch im Detail führen.

Stadt Wernigerode, Ortsteil Benzingerode, Plan

Im Rahmen des Dorferneuerungsprogramms des Landes Sachsen-Anhalt wurde im Ortsteil Benzingerode der Stadt Wernigerode der Dorfplatz um die Kirche, der Plan, umgestaltet. Mehrere Straßen münden auf den Platz, der mit der als Zentralbau um die Jahrhundertwende ausgeführten Kirche das Zentrum des Dorfes bildet. Die unbefriedigende Straßenführung, die Befestigung des Platzes nur mit Mineralgemisch und die Wünsche der Bewohner führten in den Jahren 2001 - 2002 zur Umgestaltung des Platzes. Ein Straßenring aus Natursteinpflaster, flankiert durch Linden, führt um den Kirchenbau und betont den zentralen Charakter und die räumliche Geschlossenheit des Platzes. Die angrenzenden Flächen sind durch einzelne Bäume auf einer Wiese, Büsche und Hecken ländlich gestaltet. Ein Kinderspielplatz und Parkplätze, eine Bushaltestelle und eine der Umgebung entsprechende Möblierung ergänzen den Raum.

Gemeinde Neustadt/Harz, Burgstraße

Am Fuße der 1120 errichteten Burg Hohnstein entstand der Ort Neustadt, der 1372 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Das Rückrad des am Südharz gelegenen, rund 1.300 Einwohner zählenden Luftkurortes bildet die 350 Meter lange Burgstraße: sie verbindet den Ortsmittelpunkt um die Kirche St. Georg (wo ein überlebensgroßer Roland aus Eichenholz die Marktrechte und die Gerichtsbarkeit des 1485 mit Stadtrechten versehenen Fleckens symbolisiert) mit dem Kurpark und der ehemaligen Domäne unterhalb der Burg. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erhielt die Burgstraße eine Granitpflasterung, Gehwege und eine erste Kanalisation. Im Jahr 1997 wurde die Straße mit erheblicher finanzieller Förderung des Landes Thüringen als Kurpromenade grundhaft ausgebaut. Fahrbahn und Gehwege erhielten ein farbiges Betonpflaster, die Parkstreifen eine Natursteinpflasterung. Auf Borde wurde zugunsten eines großzügigen optischen Eindrucks und der Verkehrsberuhigung verzichtet. Kleinkronige Bäume beleben den von Wohnhäusern, Hotels, einem Café, mehreren Gaststätten, der Gemeindeverwaltung und der Touristeninformation gesäumten, geradlinigen Straßenraum.

Text: Günter Piegsa